Dienstag, 9. September 2014

Ekelstufe4



                                                                      Ekelstufe 4
                                                  Ferien im Saarland 

            
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Endlich war es soweit. Der Job hatte all meine Reserven aufgebraucht und ein bisschen Abwechslung war notwendig. Ich freute mich auf ein paar entspannende Golfrunden und eine andere Umgebung. Wir waren zwar schon öfter im Saarland aber die Landschaft ist schön und für Golf und Radtouren wie geschaffen. Wie immer mieteten wir uns eine Ferienwohnung, diesmal auf einem Bauernhof und zwar für ganze zehn Tage. Entspannung pur! Wir machten uns auf die Fahrt, die Räder und die Golftaschen gepackt. Ganze zehn Tage Tapetenwechsel sollten uns für eineinhalb Stunden langweilige Fahrt entschädigen. Das Navi führte uns in eine herrliche Gegend in der Nähe des Bostalsees. Ab von der Landstraße, mindestens einen Kilometer geteerten Feldweg bis die sympatische Männerstimmer den allbekannten Satz sagte: ´das Ziel befindet sich vor Ihnen´.
Es war ein großer Hof, alte Gebäude aber sehr gepflegt, die Ferienwohnung hatte ja schließlich drei Sterne in Touristenführer. Neben dem Haupthaus war ein Garten, der schon fast herrschaftlich anmutete, mit Kieswegen, Blumeninseln und Sträuchern, wie ich es selbst gern hätte, aber nicht hinkriegte. Ich liebte es gleich, das Haus. Ringsherum befanden sich die Landwirtschaftsgebäude, wie es sich gehörte und die Ställe. Diese wirkten wiederum sehr modern. Ein gepflasterter Hof verband die Gebäude und ließ in der Mitte reichlich Platz. Moderne Geräte, wie Traktoren und Futtermischer standen herum und vervollständigten das Bild. Ich sah zwei Katzen und war gleich hellauf begeistert. Die würden mir das Heimkommen vom Golfen versüßen, wenn ich sie streichelte und knuddelte. Ich liebe Katzen. Ein Hund, irgendeine Promenadenmischung zwischen Schäferhund und Spaniel huschte um die Ecke. Das Bild war perfekt, ich war zufrieden! Die Hausherrin begrüßte uns, eine Frau in den Vierzigern, in Gummistiefeln und Schürze mit einem kariertem Kopftuch. Sie sprach den unaussprechlichen saarländischen Dialekt, was sie gleich sympatisch machte. Dabei muss ich immer an die Sendung  ´Familie Heinz Becker´denken. Ein Schmunzeln stahl sich auf meine Lippen. Nachdem sie sich ihre Stiefel ausgezogen hatte zeigte sie uns die Wohnung. Sie befindet sich im ersten Stock des Haupthauses, hatte jedoch einen separaten Eingang. Wir betraten den Flur. Links davon ging das Bad ab, danach kam eine kleine aber praktische Küche, rechts davon das Wohnzimmer und geradeaus das Schlafzimmer. Es gab sogar einen größeren Balkon auf dem wie frühstücken würden. Es herrschte eine angenehme bäuerliche Atmosphäre, sauber aber einfach, was mir sehr entgegen kam. Was ich überhaupt nicht mag sind einfache Häuser, die innen eingerichtet sind wie die der oberen Zehntausend und auf pseudoreich machen. Das hier war authentisch. Wir richteten uns ein und ich freute mich aufs Kochen.

Er erwachte wieder von diesem pochenden Schmerz. Es war zwar erst früher Abend, aber er döste immer wieder ein, er hatte ja nichts zu tun. Manchmal war es kaum zu ertragen, in manchen Momenten wieder besser, aber es musste irgendwas passieren, wenn er nicht das ganze Bein verlieren wollte. Sie war heute noch nicht da. Er hatte Hunger. Wo blieb sie nur. Seit er hier war kam sie jeden Tag, manchmal sogar schon früh morgens. Es war bisher immer Verlass auf sie. Obwohl er sie eigentlich überhaupt nicht kannte empfand er eine Zuneigung zu ihr, die schon über die reine Dankbarkeit  hinaus  ging. Das war nicht gut, nein, das durfte er sich nicht erlauben. Er würde ja niemals einen Hauch von Chance bei ihr haben, das war auch gar nicht sein Ziel. In allererster Linie ging es bei ihm mal darum gesund zu werden und ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu führen. Das wäre schon viel. Aber träumen durfte man ja.

Wir waren dabei das hervorragende Abendessen zu genießen als es an der Tür schellte. Ich war nicht gerade begeistert, machte aber auf. Es war die Bäuerin, die uns einen kleinen Korb Pflaumen brachte. Als Willkommensgruß sozusagen. Wir freuten uns natürlich und es bescherte uns einen süßen Nachtisch. Und es machte die Unterbrechung wieder wett. Sie meinte auch, dass ich ruhig mal eine Katze mit in die Wohnung nehmen dürfte. Das wunderte mich, da in der Wohnung keinerlei Katzenhaare zu finden waren. Also, folgerte ich, schien hier immer sehr gut geputzt zu werden. Nachdem ich leider erfolglos nach einer Katze Ausschau gehalten hatte, die mir den Abend versüßen sollte legte ich mich gesättigt und zufrieden auf die Couch und ließ meinen Herzallerliebsten das Geschirr spülen. Was ihm ja auch zustand. Nach einem mittelmäßig interessanten Fernsehabend gingen wir schlafen. Die Nacht war kurz, ich schlief hervorragend, was nicht immer selbstverständlich ist. Voller Tatendrang und ungewohnt guter Laune am Morgen, sprang ich aus dem Bett und riss das Fenster auf. Ein sonnendurchfluteter Morgen begrüßte uns und -  es stank nach Schwein. Und zwar nicht nur ein bisschen, sondern grauenhaft, wie man es sich nur schwer vorstellen kann. Naja, wir sind auf dem Bauernhof, dachte ich. Aber ehrlich gesagt hatte ich anscheinend Bauernhof mit Ponyhof verwechselt, als ich diese Wohnung rausgesucht habe. Klar stinkt es auf einem Schweinehof nach Schwein. Aber es war noch was, was ich nicht einordnen konnte. Konnten Schweine denn so stinken? Ich schloss das Fenster wieder und richtete das Frühstück. Leicht angeekelt schmierte ich mir ein Brötchen, doch nach der ersten Tasse Kaffee ging es mir schon wieder gut. Wir würden uns für die nächsten 9 Tage mit dem Gestank arrangieren, es war ja schließlich Natur und immer noch besser als irgendwelche chemischen Gerüche. Das Geschirr ließen wir einfach stehen und begaben uns voller Vorfreude auf den Weg zum Golfplatz.

Sie kam müde und zerschlagen von der Arbeit heim. Sie hatte Nachtdienst und vor allem die Alten, die todkrank waren hatten ihr wieder den letzten Nerv geraubt. Sie hatte vor sechs Jahren die Ausbildung als Krankenschwester abgeschlossen, in der Hoffnung an diesem unmenschlichen System ein kleines bisschen etwas ändern zu können und die Pflege etwas liebevoller zu gestalten. Teilweise war das auch möglich aber sie wurde immer öfter gedrängt die Patienten abzufertigen. Es war massiver Personalmangel, was leider schon lange der Fall war. Abgesehen davon war ihr der anfängliche Idealismus leider schon ziemlich abhanden gekommen. Die konnten ganz schön nerven, die Kranken. Keine Spur von Dankbarkeit, immer Genörgel von morgens bis abends, Gestank und Alter. Alles Dinge, die einem den Job schwer machen. Aber sie hatte sich entschieden und würde das durchstehen. Als sie todmüde ins Bett fiel, ließ sie die Nacht noch mal Revue passieren. Sie konnte nicht einfach abschalten und einschlafen. Dafür was das alles viel zu persönlich und von Leid geprägt. Als sie endlich fast am Wegdämmern war, fiel ihr den Landstreicher ein. Sie hatte ihn einfach vergessen. Das durfte doch nicht wahr sein, er war doch auf sie angewiesen. Zwischen schlechtem Gewissen und bohrender Mattigkeit wälzte sie sich eine halbe Stunde im Bett herum, bis sie letztendlich aufstand, sich mit einer Katzenwäsche den Schlaf aus den Augen wusch und sich wieder anzog. Sie richtete eine Tasche mit Brot, etwas Käse und Salami, machte einen frischen Kaffee und schüttete ihn in eine Thermoskanne. Dazu legte sie noch ein Romanheftchen, das sie irgendwo im Krankenhaus gefunden hatte, damit er wenigstens ein bisschen Abwechslung hatte. Sie machte sich mit dem Fahrrad auf dem Weg, immer bedacht, dass ihre Mutter oder der Vater sie nicht sah. Nach kurzer Zeit war sie angekommen, legte ihr Rad vorsichtig so ins Gebüsch, dass man es von Weg aus nicht sofort sah und betrat den Schuppen. Es roch nach frischem Heu, doch je näher sie ihm kam, desto mehr machte sich der unangenehm bekannte Gestank von Eiter wieder breit. Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen, dass sie das Verbandszeug und das Desinfektionsmittel vergessen hatte. Er dämmerte vor sich hin und sah sie nicht gleich. Als sie sich bemerkbar machte, in der Hoffnung, dass er sich freute bekam sie nur einen enttäuschten und vorwurfsvollen Gesichtsausdruck zu sehen. Trotzdem versuchte sie freundlich zu sein. Er machte sich über das Essen her, trank den Kaffee in einem Schluck und nahm keine Rücksicht darauf, dass er sich den Mund verbrannte. Ihr schlechtes Gewissen kam wieder hoch. Wie konnte man einen so armen Menschen einfach vergessen? Sein finsterer Ausdruck verschwand langsam und man sah ihm eine Dankbarkeit an, die sie den ganzen Aufwand und Ärger vergessen ließ. Sie hatte immer noch nicht herausbekommen, wie er sich die Verletzung zugezogen hatte. Er sprach Deutsch, zwar mit einem französischem Akzent, aber er war eh nicht sonderlich gesprächig und ihr fehlte der Mut ihn auf die Ursache seiner Verletzung anzusprechen. Es war kein Schnitt, eher wie ein Schuss. Die Kugel muss auf der anderen Seite des Fußes wieder herausgetreten sein, denn hier war ein ganzes Stück Ferse herausgerissen. Es würde Monate dauern ehe er wieder laufen könnte, wenn es überhaupt dazu kam. Zuerst musste der Eiter weg und das war schon schwierig genug das hin zu bekommen hier in der Scheune. Er weigerte sich standhaft diesen Schuppen zu verlassen, geschweige denn ein Krankenhaus zu besuchen.

Die ersten neun Löcher waren gespielt und die Kaffeelust machte sich bemerkbar. Leider konnte man nicht so eine lange Pause machen, wenn man eine Startzeit hatte und einem der nächste Flight schon auf den Fersen war. Also galt es durchhalten, was nach den eher mäßig guten ersten Neun gar nicht so motivierend war. Aber wir hatten ja Urlaub. Also das Spiel als Spiel begreifen und nicht so einen übertriebenen Ehrgeiz an den Tag legen, dann macht es auch wieder mehr Spaß. Man kann ja schließlich nicht alles können. Immerhin war das Wetter für die Jahreszeit genial und die Flightpartner sehr nett. Sie waren aus Bad Dürkheim, also ebenfalls aus Rheinland Pfalz. Anders als wir hatten sie sich in dem teuren Golfhotel eingemietet, das direkt am Golfplatz war. Wir hatten das nie in Betracht gezogen, da man da nichts anderes machen kann als golfen und es für unseren Geschmack unangemessen teuer war. Ich brauche keine drei Kellner, die beim Abendessen neben mir stehen und mir das Gefühl geben ich sei etwas ganz Besonderes. Aber diese Flightpartner waren nicht eingebildet und daher kamen wir auch in ein nettes Gespräch. Er hatte eine verantwortungsvolle Position in einer Bank und wollte von daher wahrscheinlich auch mal so richtig entspannen und alles mal an andere abgeben. Mir dagegen macht es Spaß auch im Urlaub mal zu kochen, da das eines meiner Hobbies ist. So erzählte ich von unserem Bauernhof. Sie schienen das interessant zu finden, da das eine komplett andere Art Urlaub ist, wie sie es gewohnt waren. Den Schweinegestank verschwieg ich. Das Spiel neigte sich dem Ende zu und wir blieben noch auf einen gemeinsamen Kaffee. Die Aussicht vom Cafe ist grandios, man kann auf drei Fairways blicken, dazwischen Wald und schroffe Felsen. Dies war ein ehemaliges Militärgelände aus dem man das Beste gemacht hatte was möglich war – einen Golfplatz. Aus dem anfangs mäßigen Golftag wurde dann doch noch etwas Brauchbares und wir traten zufrieden den Heimweg an. Zu meiner großen Freunde empfing mich gleich als wir aus dem Auto stiegen eine der Katzen. Es war ein schwarz weißer Kater, ziemlich kräftig und mit einem Schnurren wie ein Schiffsdiesel. Ich nahm ihn gleich mir nach oben, bevor er überhaupt einen Fluchtversuch unternehmen konnte. Meine herzhaft zupackende Art quittierte er mit Grollen und hinterließ auf meiner Hand einen ansehnlichen Kratzer. Als wir oben waren versteckte er sich erst mal hinter dem Bett. Ich ließ ihn erst mal in Ruhe und widmete mich der Zubereitung der Vorspeise: Seranoschinken mit Melone. Als ich das Schweinefilet aus dem Kühlschrank holte, das ich direkt von der Bäuerin kaufte und anfing die wenigen Sehnen wegzuschneiden, sah ich aus dem Augenwinkel, wie der Kater vorsichtig näher kam. Ich versuchte mich so wenig wie möglich zu bewegen und ließ ihn näher kommen. Dabei fiel mir wie zufällig ein kleiner Fetzen Fleisch auf den Boden. Er schnappte ihn sich und verschwand in sichere Entfernung. Das Eis war gebrochen! Nachdem er noch ein paar Stückchen bekommen hatte und das Fleisch fertig vorbereitet war, machte ich eine Pause und setzte mich an den Couchtisch.  Er kam zu mir und rieb seinen Kopf erst etwas an meiner Wade bevor er Mut fasste und mir auf den Schoß sprang. Der war vielleicht schwer. Ein Brocken aus Muskeln und, naja, auch ein ganz klein wenig Fett. Ein goldiger Kerl. Er schnurrte laut und fläzte sich auf meine Oberschenkel, so dass mein Vorhaben das Essen weiter zuzubereiten erst mal gekänzelt wurde. Die anfängliche Scheu und das Aufbegehren waren komplett der Suche nach Zärtlichkeit gewichen. Er drehte sich sogar auf den Rücken und präsentierte mir seinen weichen, weißen Bauch. Meine Liebe entflammte sofort. Seine anscheinend auch.

Im Krankenhaus war Unruhe zu spüren. Nicht bei den Patienten, sondern beim Personal. Allerdings übertrug sich das auf alle. In der Abteilung der „Inneren“ war es sowieso immer etwas stressig, da hier die meistens älteren und auch die sehr Kranken lagen. Aber diesmal war da was anderes. Der Chefarzt lief mit einem Gesicht umher, als wäre ihm seine teurer 7er BMW gestohlen worden. Was schlimm genug wäre, da er ein wahrer Autofanatiker war. Auf Zimmert I 35 lag der Grund. Patient E.H. hatte akuten Sauerstoffmangel und war schon ganz blau angelaufen. Nachdem sofort für Schadensbegrenzung gesorgt wurde und der Patient wieder halbwegs wieder hergestellt in seinen Bett lag, wurde eine Krisensitzung einberufen.  Man traf sich in einem Schwesternzimmer und machte sich auf eine gehörige Standpauke gefasst. Die Schwestern tuschelten und waren sich einig, dass es bestimmt wieder Schwester Anja war, die das verbockt hatte. Wäre ja schließlich nicht das erste Mal. Man konnte sie ja aber nicht einfach so verraten, obwohl es eigentlich an der Zeit wäre mal klarzustellen, dass nicht immer alle einstecken konnten, wenn doch immer die gleiche schuld war. Immerhin häuften sich seit etwa einer Woche die Pannen und alle waren auf sie zurück zu führen. Obwohl sie eigentlich eine offene und angenehme Person war, konnte sich keiner vorstellen weshalb sie so unkonzentriert war. Selbst Irene, mit der sie seit Anfang an ein bisschen befreundet war hatte keinen Anhaltspunkt. Und so direkt zu fragen hat sich noch keiner getraut. Also warteten sie wie  die Schafe im Schlachthof auf ihre Abfertigung. Als Chefarzt Hilmer erschien war plötzlich kein Mucks mehr zu hören. Er war zusätzlich zu seiner Position noch ein Mann, der vor natürlicher Autorität nur so strotzte. Er hatte es schon in recht jungen Jahren weit gebracht und war jetzt im Alter von 43 oberster Leiter der Klinik. Respekt war also angebracht. Als er das unliebsame Thema ansprach behielt er die Ruhe. Die Schärfe allerdings, die in seiner Stimme lag war von keinem zu überhören. Er sprach vom Ruf der Klinik und den Patienten, die ein Recht auf angemessene Behandlung hätten und drohte mit Abmahnungen, falls die Schlamperei nicht aufhöre. Bei einigen Schwestern und einem Pfleger machte sich Unwillen breit und es war abzusehen, dass einer mit den Beschuldigungen von Schwester Anja herausbrach. Doch diesmal hielt die Gemeinschaft noch einmal zusammen. Pfleger Jörg nahm sich jedoch vor mit dem Chef mal ein Gespräch unter vier Augen zu führen.

Am zweiten Tag war eine Radtour angesagt. Nachdem wir einen ungefähren Plan von unserer Tour gemacht hatten, schnappten wir uns die Räder und es ging los. Ich hatte einen Picknickkorb gepackt mit lauter Leckereien. Als wir ungefähr 25 Kilometer geschafft hatten suchten wir uns eine schöne Stelle, legten eine Decke aus und ich drapierte das Essen. Hein Herz nutzte die Zeit noch einige Seiten in seinem Krimi zu lesen. Ich liebe Picknick, irgendwo mitten in der Landschaft feine Sachen auszupacken und sie bei Vogelgezwitscher und Grillengezirpe  zu genießen. Es hat so etwas Unvollständiges, das Essen ist perfekt aber es wird mit primitivsten Utensilien verspeist. Einfach anders als daheim. Wir ließen und Zeit und legten uns nach dem Essen noch etwas in den Schatten um zu dösen. Nach einer Weile plagte mich ein Bedürfnis. Ich suchte mir etwas abseits eine Stelle, wo ich es ungestört verrichten konnte. Als ich fertig war, machte ich mich auf den Rückweg als ich einen unangenehmen Gestank wahrnahm. Erst ganz sachte nur, aber als ich in die Richtung lief, in der ich ihn vermutete wurde er immer penetranter. Er erinnerte mich an den Schweinegestank und trotzdem war er anders. Ich lief circa zwei Minuten als ich an eine Landstraße gelangte. Dort offenbarte sich mir die Herkunft des Gestanks. Ich sah am Straßenrand eine zerfetzte weiße Plastiktüte, aus der etwas Undefinierbares herauslugte. Ich ekelte mich zwar aber irgendetwas zwang mich hin zu sehen. Erst auf den zweiten Blick sah ich, dass es sich bewegte. Zahlreiche Maden krabbelten an einem weißlichen  Stofffetzen, der gelb und braun verschmiert war. Der Stoff schien grob aber um ihn genau zu untersuchen fehlte mir dann doch der Mut und der Ekel war so groß, dass ich lieber umkehrte. Zurückgekommen bei meinem Mann erzählte ich es ihm, aber er zeigte kein besonderes Interesse daran und schlug vor die Tour fort zu setzen, was auch sicherlich das Vernünftigste war. Es wurde trotzdem eine sehr schöne Tour und das Ekelpaket vom Mittag war schnell vergessen. Der Tag endete wieder mit dem süßen Kater auf dem Schoß und einem gestandenen Krimi im Fernsehen.

An diesem Abend war Jean unruhiger als sonst. Anja hatte ihm den Verband gewechselt und die Wunde desinfiziert. Doch die Vereiterung war noch weiter fortgeschritten und der Fuß pochte enorm. Die Ränder der Wunde gingen vom satten Rot schon leicht ins Violette über und waren etwas aufgedunsen und weiß-gelblich, was keine gute Prognose erlaubte. Doch Anja tat ihr Bestes. Ohne sie wäre er sicherlich schon an einer Blutvergiftung oder Ähnlichem verstorben.  Als wäre er nicht genug gestraft mit seiner Verletzung saß er auch noch hier fest. Weit entfernt von daheim und unfähig auch nur irgendetwas zu machen. Er dachte an seine Liebste, die zu Hause saß und nicht wusste wo er war. Sein Handy hatte kein Netz und abgesehen war der Akku natürlich längst leer. Er wusste nicht, ob er Anja bitten sollte seine Freundin zu kontaktieren, irgendetwas hielt ihn davon ab. Er versuchte zu schlafen, aber wenn man den ganzen Tag nur herumliegt ist das gar nicht so einfach. Dazu kamen mittlerweile schier nicht auszuhaltende Schmerzen, die in immer wieder kehrenden Wellen über ihn herein brachen. Es musste schon nach Mitternacht gewesen sein als ihm endlich eine Mütze Schlaf vergönnt war. Am nächsten Morgen kam Anja schon sehr früh. Sie brachte ihm zu essen und traf einen um Jahre gealterten Jean an. Sein mittlerweile über eine Woche alter Bart verstärkte den Eindruck noch dazu. Die Schmerzen taten noch ihr übriges. Er war kreidebleich und die Wangen waren eingefallen. Er ähnelte immer mehr einem Landstreicher, der schon Jahre durch die Gegend zog. Aber sein Aussehen kümmerte ihn nicht, es war wichtig den nötigen Lebensmut zu behalten und das war gar nicht so einfach mit der Aussicht vielleicht einen Fuß oder ein Bein zu verlieren oder gar daran zu sterben. Anja nahm das auch mittlerweile sehr mit, zumal sie auch langsam nicht mehr wusste wie sie die Medikamente und das Verbandsmaterial unbeobachtet besorgen sollte. Er reichte schon, dass sie in letzter Zeit so viele Fehler machte. Wenn sie ihren Job behalten wollte durfte sie sich keinen weiteren Ärger mehr leisten. Abgesehen davon war sie permanent übermüdet und gereizt, da sie im Hof auch mithelfen musste. Als wäre der Beruf Krankenschwester nicht schon zermürbend genug.

Das Wetter war am Morgen wieder genau so herrlich wie am Vortag. Eine Seltenheit in dieser Jahreszeit. Es waren fast 18 Grad und der Himmel wolkenlos. Heute hatten wir erst mittags etwas vor. Deshalb inspizierte ich den Hof etwas gründlicher. Ich wollte mir die Schweine einmal näher ansehen, der Stall war jedoch abgeschlossen. Ich konnte nur über die Brüstung sehen und wunderte mich nicht über das was ich sah. Einfach Schweine halt, die sich in einem recht sauberen Stall aufhielten. Sie waren sogar recht großzügig untergebracht, nicht so wie man sich Schweinehaltung im Allgemeinen vorstellt. Gut, es war ja auch ein Biohof. Es gab sogar ein richtig großes Freilandgehege auf dem sich mindestens 30 weitere Schweine tummelten, darunter auch ein paar Kleine. In einem Extrastall hielten sich die Eber auf. Sie waren einzeln untergebracht, was sicher seinen Grund hatte. Eber sind teilweise sehr aggressiv. In einem anderen Areal gab es zahlreiche Hühner, auch angemessen untergebracht. Ich war zufrieden mit dem was ich sah. Wenn ich eins verabscheue ist es Tierhaltung, unter der die Tiere leiden. Es reicht ja auch, wenn man sie hält um zu schlachten. Von meiner Überzeugung her müsste ich eigentlich Vegetarierin sein, aber leider bringe ich dafür nicht die nötige Selbstdisziplin auf. Ich schlenderte weiter durch den Hof und Cassio, so nannte ich meinen neuen Kater, lief mir über den Weg. Nachdem ich ihn ausreichend durchgekrault hatte setzte er mit erhobenem Schwanz seinen Weg fort. Mein Weg führte mich zu dem Hofladen, den die andere Tochter betrieb. Ich nahm mir vor später noch einmal von dem leckeren Schweinefilet zu kaufen und dazu noch etwas frisches Gemüse. Und für das Frühstück noch ein paar Eier. Die Auswahl war gut und die Qualität, wie auch schon das Filet bewies, war hervorragend. Die Einkäufe würden sich in dieser Woche wohl nur auf diesen Hofladen beschränken. Besseres bekam man nirgends.

Anja legte sich noch ein paar Stunden ins Bett bevor ihre Nachtschicht wieder begann. Sie musste auch mal an sich denken, ihren zusätzlichen „Pflegefall“ Jean hatte sie sich schließlich nicht selbst ausgesucht. Vor etwas über einer Woche fand sie ihn, als sie mit dem Rad unterwegs war am Rande eines Maisfeldes, blutig und verdreckt. Als er sich vehement weigerte, dass ein Arzt ihn untersuchte, schleppte sie ihn in die Scheune. Er konnte von Glück reden, dass sie ihn gefunden hatte. Was ihr sehr unangenehm und auch etwas unheimlich war, war dass sie immer noch nicht wusste was eigentlich passiert war. Eine Schussverletzung ist ja nicht gerade alltäglich und lässt extrem unangenehme Schlüsse zu. Vielleicht war er in einem Überfall oder gar in einen Mord verwickelt, oder er war sogar selbst ein Mörder. Und er war Franzose. Das ist zwar nicht besonders außergewöhnlich, aber er war wahrscheinlich nicht aus dem Saarland. Vielleicht war er im Urlaub hier, aber warum wollte er nicht ins Krankenhaus. Das war überhaupt der Punkt, der sie am meisten verwirrte. Wenn sie ihn nicht gefunden hätte, wäre er gestorben ohne Hilfe. Hätte er das in Kauf genommen oder hätte er dann doch ein Krankenhaus aufgesucht? Fragen über Fragen plagten sie Tag und Nacht und machten es ihr auch jetzt schwer noch ein bisschen Schlaf zu finden. Das alles beschäftigte sie so sehr, dass es ihr manchmal unmöglich schien sich auf ihren Beruf zu konzentrieren. Bisher hatte sie sich noch nicht getraut ihr Problem ihrer besten Freundin zu erzählen. Obwohl sie sich schon seit der ersten Klasse kannten, hielt sie irgendwas davon ab. Sie musste vorerst selber damit zurecht kommen und entscheiden wie sie sich weiterhin verhalten würde. Im Stich lassen konnte sie Jean auf jeden Fall nicht. Wenn es nur keine Schusswunde wäre.

Da der Tag schon fortgeschritten war und es sich nicht mehr lohnte golfen zu gehen, beschlossen wir mit dem Fahrrad in den nächsten Ort zu fahren und ein Eis essen zu gehen. Es war kein weiter Weg, deshalb brauchten wir auch keine Fahrradklamotten. Wir schwangen uns auf die Räder und erklommen den ersten Hügel. Die Radwege hier waren gut ausgebaut und es machte richtig Spaß. Als wir ungefähr drei Kilometer gefahren waren kamen wir im Wald zu einer Stelle, wo der Fahrradweg mit rot-weißem Band abgesperrt war. Bevor wir registrieren konnten was da los war, hörten wir Hunde bellen und sahen gleich darauf Polizisten durch den Wald laufen. Wir konnten uns nicht erklären was sie da suchten und sie gaben uns auch keinerlei Erklärung dazu ab. Die einzige Möglichkeit da vorbei zu kommen war die Räder zu schultern und ein Stück außenherum zu laufen. Ein Polizist zeigte uns noch wo wir durch konnten. Der Vorfall kam uns seltsam vor und wir rätselten noch eine Weile was die wohl dort suchten, nach einer Weile jedoch verloren wir das Interesse daran. Im Ort war eine sehr schöne Eisdiele und wir genossen ohne weitere Spekulationen über die Polizei unseren Eisbecher. Den Rückweg nahmen wir über die Straße, was im Endeffekt auch kürzer war und uns entgegen kam, da es schon leicht dämmerte. Mit dem obligatorischen Katerkraulen beendete ich dann den Tag.  Der nächste Morgen bescherte uns einen etwas wolkenverhangenen Himmel und wir machten uns auf den Weg zum Golfplatz in der Hoffnung nicht nass zu werden.

„Hallo Dagmar, ja ich bin´s, Anja. Wie geht es dir? Ja, ich wollte mich schon lang mal melden, aber du weißt ja wie das ist“. Endlich hatte Anja sich durchgerungen ihre Freundin anzurufen. Als diese jedoch den Hörer abnahm überlegte sie sich, ob sie einen Rückzieher machen sollte und den Anruf mit Nichtigkeiten zu füllen. Sie konnte es sich selbst nicht erklären, warum sie so ein Problem damit hatte sich ihr anzuvertrauen. Schließlich hatte sie ja nichts Schlechtes getan. Aber irgendwie … die Schusswunde. Und sie hatte auch das Gefühl, dass sie Jean und vielleicht auch sich selbst noch mehr in Schwierigkeiten bringen würde. Aber sie hatte mit Jean ja eigentlich nicht zu tun, außer dass er ungebeten in ihr Leben getreten beziehungsweise gefallen war. Trotzdem hatte sie Hemmungen. Doch der Anfang war gemacht und sie würde jetzt über ihren Schatten springen. Fest entschlossen ihr Problem mit ihrer besten Freundin zu teilen und sich dadurch etwas zu entlasten fing sie an zu erzählen. Sie kam nicht weit, da ihre Freundin eine Verabredung hatte und sie auf irgendwann vertröstete. Enttäuschung wäre das falsche Wort. Sie war endlos frustriert, jetzt da sie sich entschlossen hatte, ließ sich aber nichts anmerken. Sie wünschte Dagmar einen schönen Tag und beendete das Gespräch. Als sie mit ihren Eltern zu Mittag aß erzählten diese von dem Vorfall im Wald. Spaziergänger hatten sich an die Polizei gewendet, da sie an mehreren Stellen am Radweg und an der Straße blutige und eitrige Verbände gefunden hatten. Die Polizisten hattne sich mit Hunden auf die Suche nach Auffälligkeiten gemacht. Anja blieb für einen Moment das Herz stehen. Wie konnte das sein? Sie hatte doch immer alles mitgenommen und tief im Mülleimer verstaut. Es war unmöglich, dass das ein Fuchs oder Hund ausgegraben hatte und in der Gegend verschleppt hat. Aber wo sollten die Verbände sonst herkommen? Sie war zutiefst irritiert und schaufelte mechanisch das Mittagessen in sich hinein. Ihre Eltern merkten, wie immer nichts.

Der Tag neigte sich ohne weitere aufregende Zwischenfälle dem Ende zu. Allerdings mussten wir öfter an das Erlebnis mit der Polizei im Wald denken und spekulierten ein bisschen weiter, was da passiert sein könnte. Wäre doch mal interessant, wenn im Urlaub in der Nähe was passieren würde. Golfen ist ja nicht grad eine Abenteuersportart und etwas Kriminelles würde dem Urlaub etwas Würze verleihen. Es müsste ja nicht gleich jemand umgebracht worden sein, ein Bankraub würde auch genügen. Fakt ist, dass etwas Ungewöhnliches passiert war, vielleicht würden wir morgen unsere Vermieterin fragen. Die weiß bestimmt etwas. In so ländlichen Gegenden wird ja viel geschwätzt. Da wir ja eh zu keinem Ergebnis kamen, gingen wir ins Bett. Irgendwie waren wir müde, obwohl wir eigentlich nicht viel unternommen hatten. Im Schlafzimmer war etwas schwül, deshalb ließen wir das Fenster über Nacht gekippt. Ich wachte um sieben Uhr auf und hatte einen seltsamen Traum. Wir standen am Abschlag 25, oben auf der Kuppe. Man hat von dort oben einen herrlichen Überblick über das Fairway und kann bis zum Clubhaus schauen. Dort oben befindet sich neben dem Abschlag ein gesprengter Bunker. Man sieht noch die Armierungseisen aus dem Beton ragen. Teilweise ist er mit Erde und Steinen zugeschüttet und bewachsen. Er stört das Bild des Golfplatzes nicht, da er so eingewachsen ist, dass er kaum auffällt. In meinem Traum standen wir also da oben und warteten noch bis die Golfer vor uns abgeschlagen hatten. Ich vernahm ein leises Wimmern oder besser so etwas wie ein Stöhnen, das aus der Richtung des Bunkers kam. Zuerst dachte ich mir nichts dabei, da es dort oben meistens etwas windig ist und eben halt mal Windgeräusche zu hören sind. Doch als die Spieler vor uns weg waren, wartete ich eine Weile – es kam keiner hinter uns. Ich ging ein Stückchen Richtung Bunker und sagte meinem Mann er solle mitkommen. Als wir nah genug dort waren hörte man es deutlich. Es war ein Stöhnen von einem Mann, der anscheinend starke Schmerzen hatte. Wir wurden neugierig. Ich nahm die Taschenlampe, die ich auf meinem Handy hatte und wagte mich näher ran. Als ich in den Spalt hineinleuchtete sah ich einen jungen Mann, der in einer Ecke lag mit blutverschmiertem Stiefel in einer Uniform, die aussah als würde sie aus dem zweiten Weltkrieg stammen. Ich glaubte es kaum. Was macht ein Soldat auf einem Golfplatz? Und dann noch in einer Kriegsuniform? Er sah mich nicht gleich, war aber über den Lichtstrahl erstaunt. Wahrscheinlich blendete ich ihm mitten ins Gesicht. Als ich versuchte runter zu klettern, nahm er mich wahr. Man sah ihm die Angst förmlich an. Ich sprach ihn an, jedoch schien er damit nichts anfangen zu können. Er versuchte nur sich weiter in die Ecke zu kauern. Ich sagte ihm, dass er nichts zu befürchten habe. Was ich als Antwort bekam war ein schmerzverzerrtes Stammeln auf Französisch. Ich verstand nichts. Ich kam näher und sah, dass sein Fuß unter seinem Stiefel scheinbar ziemlich verletzt war. Ich rief meinen Mann, der jedoch Schwierigkeiten hatte durch den engen Spalt zu kommen. Ich hatte ziemliche Angst, aber das Bedürfnis dem armen Mann zu helfen war größer. Ich erbat von meinem Mann die Wasserflasche und gab dem Soldaten zu trinken. Er leerte sie in einem Zug. Danach hörte ich ein schwaches ´danke´. Er konnte also zumindest ein Wort Deutsch. Ich fragte ihn wo er herkomme und er guckte mich verdutzt an. Anscheinend war ich ihm genauso suspekt wie er mir. Ich hörte ihn auf Deutsch mit französischem Akzent fragen, warum ich hier in seinem Bunker wäre, es sei ja schließlich Krieg. Ich glaubte mich im falschen Film. Dennoch versuchte ich ihm klar zu machen, dass seine Wunde behandelt gehört und er zog widerwillig seinen Stiefel aus. Die Wunde schien nicht frisch, sondern schon ein paar Tage alt zu sein. Ich schrak sichtbar zurück und wäre von dem bestialischen Gestank fast ohnmächtig geworden. Wie hat er diese Schmerzen nur so lang aushalten können. Was sich mir optisch bot war in keiner Weise besser. Der Socken war scheinbar mit dem Fuß verwachsen, so sah es aus. Ich versuchte, trotz Ekel den Socken auszuziehen und erntete einen grauenhaften Aufschrei des Schmerzes.