Ekelstufe 4
Ferien im Saarland
-1-
Endlich war
es soweit. Der Job hatte all meine Reserven aufgebraucht und ein bisschen
Abwechslung war notwendig. Ich freute mich auf ein paar entspannende Golfrunden
und eine andere Umgebung. Wir waren zwar schon öfter im Saarland aber die
Landschaft ist schön und für Golf und Radtouren wie geschaffen. Wie immer
mieteten wir uns eine Ferienwohnung, diesmal auf einem Bauernhof und zwar für
ganze zehn Tage. Entspannung pur! Wir machten uns auf die Fahrt, die Räder und
die Golftaschen gepackt. Ganze zehn Tage Tapetenwechsel sollten uns für
eineinhalb Stunden langweilige Fahrt entschädigen. Das Navi führte uns in eine
herrliche Gegend in der Nähe des Bostalsees. Ab von der Landstraße, mindestens
einen Kilometer geteerten Feldweg bis die sympatische Männerstimmer den
allbekannten Satz sagte: ´das Ziel befindet sich vor Ihnen´.
Es war ein
großer Hof, alte Gebäude aber sehr gepflegt, die Ferienwohnung hatte ja
schließlich drei Sterne in Touristenführer. Neben dem Haupthaus war ein Garten,
der schon fast herrschaftlich anmutete, mit Kieswegen, Blumeninseln und
Sträuchern, wie ich es selbst gern hätte, aber nicht hinkriegte. Ich liebte es
gleich, das Haus. Ringsherum befanden sich die Landwirtschaftsgebäude, wie es
sich gehörte und die Ställe. Diese wirkten wiederum sehr modern. Ein
gepflasterter Hof verband die Gebäude und ließ in der Mitte reichlich Platz.
Moderne Geräte, wie Traktoren und Futtermischer standen herum und
vervollständigten das Bild. Ich sah zwei Katzen und war gleich hellauf
begeistert. Die würden mir das Heimkommen vom Golfen versüßen, wenn ich sie
streichelte und knuddelte. Ich liebe Katzen. Ein Hund, irgendeine
Promenadenmischung zwischen Schäferhund und Spaniel huschte um die Ecke. Das
Bild war perfekt, ich war zufrieden! Die Hausherrin begrüßte uns, eine Frau in
den Vierzigern, in Gummistiefeln und Schürze mit einem kariertem Kopftuch. Sie
sprach den unaussprechlichen saarländischen Dialekt, was sie gleich sympatisch
machte. Dabei muss ich immer an die Sendung
´Familie Heinz Becker´denken. Ein Schmunzeln stahl sich auf meine
Lippen. Nachdem sie sich ihre Stiefel ausgezogen hatte zeigte sie uns die
Wohnung. Sie befindet sich im ersten Stock des Haupthauses, hatte jedoch einen
separaten Eingang. Wir betraten den Flur. Links davon ging das Bad ab, danach
kam eine kleine aber praktische Küche, rechts davon das Wohnzimmer und
geradeaus das Schlafzimmer. Es gab sogar einen größeren Balkon auf dem wie
frühstücken würden. Es herrschte eine angenehme bäuerliche Atmosphäre, sauber
aber einfach, was mir sehr entgegen kam. Was ich überhaupt nicht mag sind
einfache Häuser, die innen eingerichtet sind wie die der oberen Zehntausend und
auf pseudoreich machen. Das hier war authentisch. Wir richteten uns ein und ich
freute mich aufs Kochen.
Er erwachte
wieder von diesem pochenden Schmerz. Es war zwar erst früher Abend, aber er
döste immer wieder ein, er hatte ja nichts zu tun. Manchmal war es kaum zu
ertragen, in manchen Momenten wieder besser, aber es musste irgendwas
passieren, wenn er nicht das ganze Bein verlieren wollte. Sie war heute noch
nicht da. Er hatte Hunger. Wo blieb sie nur. Seit er hier war kam sie jeden
Tag, manchmal sogar schon früh morgens. Es war bisher immer Verlass auf sie.
Obwohl er sie eigentlich überhaupt nicht kannte empfand er eine Zuneigung zu
ihr, die schon über die reine Dankbarkeit hinaus
ging. Das war nicht gut, nein, das durfte er sich nicht erlauben. Er
würde ja niemals einen Hauch von Chance bei ihr haben, das war auch gar nicht
sein Ziel. In allererster Linie ging es bei ihm mal darum gesund zu werden und
ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu führen. Das wäre schon viel. Aber
träumen durfte man ja.
Wir waren
dabei das hervorragende Abendessen zu genießen als es an der Tür schellte. Ich
war nicht gerade begeistert, machte aber auf. Es war die Bäuerin, die uns einen
kleinen Korb Pflaumen brachte. Als Willkommensgruß sozusagen. Wir freuten uns
natürlich und es bescherte uns einen süßen Nachtisch. Und es machte die
Unterbrechung wieder wett. Sie meinte auch, dass ich ruhig mal eine Katze mit
in die Wohnung nehmen dürfte. Das wunderte mich, da in der Wohnung keinerlei
Katzenhaare zu finden waren. Also, folgerte ich, schien hier immer sehr gut
geputzt zu werden. Nachdem ich leider erfolglos nach einer Katze Ausschau
gehalten hatte, die mir den Abend versüßen sollte legte ich mich gesättigt und
zufrieden auf die Couch und ließ meinen Herzallerliebsten das Geschirr spülen.
Was ihm ja auch zustand. Nach einem mittelmäßig interessanten Fernsehabend
gingen wir schlafen. Die Nacht war kurz, ich schlief hervorragend, was nicht
immer selbstverständlich ist. Voller Tatendrang und ungewohnt guter Laune am
Morgen, sprang ich aus dem Bett und riss das Fenster auf. Ein
sonnendurchfluteter Morgen begrüßte uns und -
es stank nach Schwein. Und zwar nicht nur ein bisschen, sondern
grauenhaft, wie man es sich nur schwer vorstellen kann. Naja, wir sind auf dem
Bauernhof, dachte ich. Aber ehrlich gesagt hatte ich anscheinend Bauernhof mit
Ponyhof verwechselt, als ich diese Wohnung rausgesucht habe. Klar stinkt es auf
einem Schweinehof nach Schwein. Aber es war noch was, was ich nicht einordnen
konnte. Konnten Schweine denn so stinken? Ich schloss das Fenster wieder und
richtete das Frühstück. Leicht angeekelt schmierte ich mir ein Brötchen, doch
nach der ersten Tasse Kaffee ging es mir schon wieder gut. Wir würden uns für
die nächsten 9 Tage mit dem Gestank arrangieren, es war ja schließlich Natur
und immer noch besser als irgendwelche chemischen Gerüche. Das Geschirr ließen
wir einfach stehen und begaben uns voller Vorfreude auf den Weg zum Golfplatz.
Sie kam müde
und zerschlagen von der Arbeit heim. Sie hatte Nachtdienst und vor allem die
Alten, die todkrank waren hatten ihr wieder den letzten Nerv geraubt. Sie hatte
vor sechs Jahren die Ausbildung als Krankenschwester abgeschlossen, in der
Hoffnung an diesem unmenschlichen System ein kleines bisschen etwas ändern zu
können und die Pflege etwas liebevoller zu gestalten. Teilweise war das auch
möglich aber sie wurde immer öfter gedrängt die Patienten abzufertigen. Es war
massiver Personalmangel, was leider schon lange der Fall war. Abgesehen davon
war ihr der anfängliche Idealismus leider schon ziemlich abhanden gekommen. Die
konnten ganz schön nerven, die Kranken. Keine Spur von Dankbarkeit, immer
Genörgel von morgens bis abends, Gestank und Alter. Alles Dinge, die einem den
Job schwer machen. Aber sie hatte sich entschieden und würde das durchstehen.
Als sie todmüde ins Bett fiel, ließ sie die Nacht noch mal Revue passieren. Sie
konnte nicht einfach abschalten und einschlafen. Dafür was das alles viel zu
persönlich und von Leid geprägt. Als sie endlich fast am Wegdämmern war, fiel
ihr den Landstreicher ein. Sie hatte ihn einfach vergessen. Das durfte doch
nicht wahr sein, er war doch auf sie angewiesen. Zwischen schlechtem Gewissen
und bohrender Mattigkeit wälzte sie sich eine halbe Stunde im Bett herum, bis
sie letztendlich aufstand, sich mit einer Katzenwäsche den Schlaf aus den Augen
wusch und sich wieder anzog. Sie richtete eine Tasche mit Brot, etwas Käse und
Salami, machte einen frischen Kaffee und schüttete ihn in eine Thermoskanne.
Dazu legte sie noch ein Romanheftchen, das sie irgendwo im Krankenhaus gefunden
hatte, damit er wenigstens ein bisschen Abwechslung hatte. Sie machte sich mit
dem Fahrrad auf dem Weg, immer bedacht, dass ihre Mutter oder der Vater sie
nicht sah. Nach kurzer Zeit war sie angekommen, legte ihr Rad vorsichtig so ins
Gebüsch, dass man es von Weg aus nicht sofort sah und betrat den Schuppen. Es
roch nach frischem Heu, doch je näher sie ihm kam, desto mehr machte sich der
unangenehm bekannte Gestank von Eiter wieder breit. Es fiel ihr wie Schuppen
von den Augen, dass sie das Verbandszeug und das Desinfektionsmittel vergessen
hatte. Er dämmerte vor sich hin und sah sie nicht gleich. Als sie sich
bemerkbar machte, in der Hoffnung, dass er sich freute bekam sie nur einen
enttäuschten und vorwurfsvollen Gesichtsausdruck zu sehen. Trotzdem versuchte
sie freundlich zu sein. Er machte sich über das Essen her, trank den Kaffee in
einem Schluck und nahm keine Rücksicht darauf, dass er sich den Mund
verbrannte. Ihr schlechtes Gewissen kam wieder hoch. Wie konnte man einen so
armen Menschen einfach vergessen? Sein finsterer Ausdruck verschwand langsam und
man sah ihm eine Dankbarkeit an, die sie den ganzen Aufwand und Ärger vergessen
ließ. Sie hatte immer noch nicht herausbekommen, wie er sich die Verletzung
zugezogen hatte. Er sprach Deutsch, zwar mit einem französischem Akzent, aber
er war eh nicht sonderlich gesprächig und ihr fehlte der Mut ihn auf die
Ursache seiner Verletzung anzusprechen. Es war kein Schnitt, eher wie ein
Schuss. Die Kugel muss auf der anderen Seite des Fußes wieder herausgetreten
sein, denn hier war ein ganzes Stück Ferse herausgerissen. Es würde Monate
dauern ehe er wieder laufen könnte, wenn es überhaupt dazu kam. Zuerst musste
der Eiter weg und das war schon schwierig genug das hin zu bekommen hier in der
Scheune. Er weigerte sich standhaft diesen Schuppen zu verlassen, geschweige
denn ein Krankenhaus zu besuchen.
Die ersten
neun Löcher waren gespielt und die Kaffeelust machte sich bemerkbar. Leider
konnte man nicht so eine lange Pause machen, wenn man eine Startzeit hatte und
einem der nächste Flight schon auf den Fersen war. Also galt es durchhalten,
was nach den eher mäßig guten ersten Neun gar nicht so motivierend war. Aber
wir hatten ja Urlaub. Also das Spiel als Spiel begreifen und nicht so einen
übertriebenen Ehrgeiz an den Tag legen, dann macht es auch wieder mehr Spaß. Man
kann ja schließlich nicht alles können. Immerhin war das Wetter für die
Jahreszeit genial und die Flightpartner sehr nett. Sie waren aus Bad Dürkheim,
also ebenfalls aus Rheinland Pfalz. Anders als wir hatten sie sich in dem
teuren Golfhotel eingemietet, das direkt am Golfplatz war. Wir hatten das nie
in Betracht gezogen, da man da nichts anderes machen kann als golfen und es für
unseren Geschmack unangemessen teuer war. Ich brauche keine drei Kellner, die
beim Abendessen neben mir stehen und mir das Gefühl geben ich sei etwas ganz
Besonderes. Aber diese Flightpartner waren nicht eingebildet und daher kamen
wir auch in ein nettes Gespräch. Er hatte eine verantwortungsvolle Position in
einer Bank und wollte von daher wahrscheinlich auch mal so richtig entspannen
und alles mal an andere abgeben. Mir dagegen macht es Spaß auch im Urlaub mal
zu kochen, da das eines meiner Hobbies ist. So erzählte ich von unserem
Bauernhof. Sie schienen das interessant zu finden, da das eine komplett andere
Art Urlaub ist, wie sie es gewohnt waren. Den Schweinegestank verschwieg ich.
Das Spiel neigte sich dem Ende zu und wir blieben noch auf einen gemeinsamen
Kaffee. Die Aussicht vom Cafe ist grandios, man kann auf drei Fairways blicken,
dazwischen Wald und schroffe Felsen. Dies war ein ehemaliges Militärgelände aus
dem man das Beste gemacht hatte was möglich war – einen Golfplatz. Aus dem
anfangs mäßigen Golftag wurde dann doch noch etwas Brauchbares und wir traten
zufrieden den Heimweg an. Zu meiner großen Freunde empfing mich gleich als wir
aus dem Auto stiegen eine der Katzen. Es war ein schwarz weißer Kater, ziemlich
kräftig und mit einem Schnurren wie ein Schiffsdiesel. Ich nahm ihn gleich mir
nach oben, bevor er überhaupt einen Fluchtversuch unternehmen konnte. Meine
herzhaft zupackende Art quittierte er mit Grollen und hinterließ auf meiner
Hand einen ansehnlichen Kratzer. Als wir oben waren versteckte er sich erst mal
hinter dem Bett. Ich ließ ihn erst mal in Ruhe und widmete mich der Zubereitung
der Vorspeise: Seranoschinken mit Melone. Als ich das Schweinefilet aus dem
Kühlschrank holte, das ich direkt von der Bäuerin kaufte und anfing die wenigen
Sehnen wegzuschneiden, sah ich aus dem Augenwinkel, wie der Kater vorsichtig
näher kam. Ich versuchte mich so wenig wie möglich zu bewegen und ließ ihn
näher kommen. Dabei fiel mir wie zufällig ein kleiner Fetzen Fleisch auf den
Boden. Er schnappte ihn sich und verschwand in sichere Entfernung. Das Eis war
gebrochen! Nachdem er noch ein paar Stückchen bekommen hatte und das Fleisch
fertig vorbereitet war, machte ich eine Pause und setzte mich an den
Couchtisch. Er kam zu mir und rieb
seinen Kopf erst etwas an meiner Wade bevor er Mut fasste und mir auf den Schoß
sprang. Der war vielleicht schwer. Ein Brocken aus Muskeln und, naja, auch ein
ganz klein wenig Fett. Ein goldiger Kerl. Er schnurrte laut und fläzte sich auf
meine Oberschenkel, so dass mein Vorhaben das Essen weiter zuzubereiten erst
mal gekänzelt wurde. Die anfängliche Scheu und das Aufbegehren waren komplett
der Suche nach Zärtlichkeit gewichen. Er drehte sich sogar auf den Rücken und
präsentierte mir seinen weichen, weißen Bauch. Meine Liebe entflammte sofort.
Seine anscheinend auch.
Im Krankenhaus
war Unruhe zu spüren. Nicht bei den Patienten, sondern beim Personal.
Allerdings übertrug sich das auf alle. In der Abteilung der „Inneren“ war es
sowieso immer etwas stressig, da hier die meistens älteren und auch die sehr
Kranken lagen. Aber diesmal war da was anderes. Der Chefarzt lief mit einem
Gesicht umher, als wäre ihm seine teurer 7er BMW gestohlen worden. Was schlimm
genug wäre, da er ein wahrer Autofanatiker war. Auf Zimmert I 35 lag der Grund.
Patient E.H. hatte akuten Sauerstoffmangel und war schon ganz blau angelaufen.
Nachdem sofort für Schadensbegrenzung gesorgt wurde und der Patient wieder
halbwegs wieder hergestellt in seinen Bett lag, wurde eine Krisensitzung
einberufen. Man traf sich in einem
Schwesternzimmer und machte sich auf eine gehörige Standpauke gefasst. Die
Schwestern tuschelten und waren sich einig, dass es bestimmt wieder Schwester
Anja war, die das verbockt hatte. Wäre ja schließlich nicht das erste Mal. Man
konnte sie ja aber nicht einfach so verraten, obwohl es eigentlich an der Zeit
wäre mal klarzustellen, dass nicht immer alle einstecken konnten, wenn doch
immer die gleiche schuld war. Immerhin häuften sich seit etwa einer Woche die
Pannen und alle waren auf sie zurück zu führen. Obwohl sie eigentlich eine
offene und angenehme Person war, konnte sich keiner vorstellen weshalb sie so
unkonzentriert war. Selbst Irene, mit der sie seit Anfang an ein bisschen
befreundet war hatte keinen Anhaltspunkt. Und so direkt zu fragen hat sich noch
keiner getraut. Also warteten sie wie
die Schafe im Schlachthof auf ihre Abfertigung. Als Chefarzt Hilmer
erschien war plötzlich kein Mucks mehr zu hören. Er war zusätzlich zu seiner
Position noch ein Mann, der vor natürlicher Autorität nur so strotzte. Er hatte
es schon in recht jungen Jahren weit gebracht und war jetzt im Alter von 43
oberster Leiter der Klinik. Respekt war also angebracht. Als er das unliebsame
Thema ansprach behielt er die Ruhe. Die Schärfe allerdings, die in seiner
Stimme lag war von keinem zu überhören. Er sprach vom Ruf der Klinik und den
Patienten, die ein Recht auf angemessene Behandlung hätten und drohte mit
Abmahnungen, falls die Schlamperei nicht aufhöre. Bei einigen Schwestern und
einem Pfleger machte sich Unwillen breit und es war abzusehen, dass einer mit den
Beschuldigungen von Schwester Anja herausbrach. Doch diesmal hielt die
Gemeinschaft noch einmal zusammen. Pfleger Jörg nahm sich jedoch vor mit dem
Chef mal ein Gespräch unter vier Augen zu führen.
Am zweiten
Tag war eine Radtour angesagt. Nachdem wir einen ungefähren Plan von unserer
Tour gemacht hatten, schnappten wir uns die Räder und es ging los. Ich hatte
einen Picknickkorb gepackt mit lauter Leckereien. Als wir ungefähr 25 Kilometer
geschafft hatten suchten wir uns eine schöne Stelle, legten eine Decke aus und
ich drapierte das Essen. Hein Herz nutzte die Zeit noch einige Seiten in seinem
Krimi zu lesen. Ich liebe Picknick, irgendwo mitten in der Landschaft feine
Sachen auszupacken und sie bei Vogelgezwitscher und Grillengezirpe zu genießen. Es hat so etwas Unvollständiges,
das Essen ist perfekt aber es wird mit primitivsten Utensilien verspeist.
Einfach anders als daheim. Wir ließen und Zeit und legten uns nach dem Essen
noch etwas in den Schatten um zu dösen. Nach einer Weile plagte mich ein Bedürfnis.
Ich suchte mir etwas abseits eine Stelle, wo ich es ungestört verrichten
konnte. Als ich fertig war, machte ich mich auf den Rückweg als ich einen
unangenehmen Gestank wahrnahm. Erst ganz sachte nur, aber als ich in die
Richtung lief, in der ich ihn vermutete wurde er immer penetranter. Er
erinnerte mich an den Schweinegestank und trotzdem war er anders. Ich lief
circa zwei Minuten als ich an eine Landstraße gelangte. Dort offenbarte sich
mir die Herkunft des Gestanks. Ich sah am Straßenrand eine zerfetzte weiße
Plastiktüte, aus der etwas Undefinierbares herauslugte. Ich ekelte mich zwar
aber irgendetwas zwang mich hin zu sehen. Erst auf den zweiten Blick sah ich,
dass es sich bewegte. Zahlreiche Maden krabbelten an einem weißlichen Stofffetzen, der gelb und braun verschmiert
war. Der Stoff schien grob aber um ihn genau zu untersuchen fehlte mir dann
doch der Mut und der Ekel war so groß, dass ich lieber umkehrte. Zurückgekommen
bei meinem Mann erzählte ich es ihm, aber er zeigte kein besonderes Interesse
daran und schlug vor die Tour fort zu setzen, was auch sicherlich das
Vernünftigste war. Es wurde trotzdem eine sehr schöne Tour und das Ekelpaket
vom Mittag war schnell vergessen. Der Tag endete wieder mit dem süßen Kater auf
dem Schoß und einem gestandenen Krimi im Fernsehen.
An diesem Abend
war Jean unruhiger als sonst. Anja hatte ihm den Verband gewechselt und die
Wunde desinfiziert. Doch die Vereiterung war noch weiter fortgeschritten und
der Fuß pochte enorm. Die Ränder der Wunde gingen vom satten Rot schon leicht
ins Violette über und waren etwas aufgedunsen und weiß-gelblich, was keine gute
Prognose erlaubte. Doch Anja tat ihr Bestes. Ohne sie wäre er sicherlich schon
an einer Blutvergiftung oder Ähnlichem verstorben. Als wäre er nicht genug gestraft mit seiner
Verletzung saß er auch noch hier fest. Weit entfernt von daheim und unfähig
auch nur irgendetwas zu machen. Er dachte an seine Liebste, die zu Hause saß
und nicht wusste wo er war. Sein Handy hatte kein Netz und abgesehen war der
Akku natürlich längst leer. Er wusste nicht, ob er Anja bitten sollte seine
Freundin zu kontaktieren, irgendetwas hielt ihn davon ab. Er versuchte zu
schlafen, aber wenn man den ganzen Tag nur herumliegt ist das gar nicht so einfach.
Dazu kamen mittlerweile schier nicht auszuhaltende Schmerzen, die in immer
wieder kehrenden Wellen über ihn herein brachen. Es musste schon nach
Mitternacht gewesen sein als ihm endlich eine Mütze Schlaf vergönnt war. Am
nächsten Morgen kam Anja schon sehr früh. Sie brachte ihm zu essen und traf
einen um Jahre gealterten Jean an. Sein mittlerweile über eine Woche alter Bart
verstärkte den Eindruck noch dazu. Die Schmerzen taten noch ihr übriges. Er war
kreidebleich und die Wangen waren eingefallen. Er ähnelte immer mehr einem
Landstreicher, der schon Jahre durch die Gegend zog. Aber sein Aussehen
kümmerte ihn nicht, es war wichtig den nötigen Lebensmut zu behalten und das
war gar nicht so einfach mit der Aussicht vielleicht einen Fuß oder ein Bein zu
verlieren oder gar daran zu sterben. Anja nahm das auch mittlerweile sehr mit,
zumal sie auch langsam nicht mehr wusste wie sie die Medikamente und das
Verbandsmaterial unbeobachtet besorgen sollte. Er reichte schon, dass sie in
letzter Zeit so viele Fehler machte. Wenn sie ihren Job behalten wollte durfte
sie sich keinen weiteren Ärger mehr leisten. Abgesehen davon war sie permanent
übermüdet und gereizt, da sie im Hof auch mithelfen musste. Als wäre der Beruf Krankenschwester
nicht schon zermürbend genug.
Das Wetter
war am Morgen wieder genau so herrlich wie am Vortag. Eine Seltenheit in dieser
Jahreszeit. Es waren fast 18 Grad und der Himmel wolkenlos. Heute hatten wir
erst mittags etwas vor. Deshalb inspizierte ich den Hof etwas gründlicher. Ich
wollte mir die Schweine einmal näher ansehen, der Stall war jedoch
abgeschlossen. Ich konnte nur über die Brüstung sehen und wunderte mich nicht
über das was ich sah. Einfach Schweine halt, die sich in einem recht sauberen
Stall aufhielten. Sie waren sogar recht großzügig untergebracht, nicht so wie
man sich Schweinehaltung im Allgemeinen vorstellt. Gut, es war ja auch ein
Biohof. Es gab sogar ein richtig großes Freilandgehege auf dem sich mindestens
30 weitere Schweine tummelten, darunter auch ein paar Kleine. In einem
Extrastall hielten sich die Eber auf. Sie waren einzeln untergebracht, was
sicher seinen Grund hatte. Eber sind teilweise sehr aggressiv. In einem anderen
Areal gab es zahlreiche Hühner, auch angemessen untergebracht. Ich war
zufrieden mit dem was ich sah. Wenn ich eins verabscheue ist es Tierhaltung,
unter der die Tiere leiden. Es reicht ja auch, wenn man sie hält um zu
schlachten. Von meiner Überzeugung her müsste ich eigentlich Vegetarierin sein,
aber leider bringe ich dafür nicht die nötige Selbstdisziplin auf. Ich
schlenderte weiter durch den Hof und Cassio, so nannte ich meinen neuen Kater,
lief mir über den Weg. Nachdem ich ihn ausreichend durchgekrault hatte setzte er
mit erhobenem Schwanz seinen Weg fort. Mein Weg führte mich zu dem Hofladen, den
die andere Tochter betrieb. Ich nahm mir vor später noch einmal von dem
leckeren Schweinefilet zu kaufen und dazu noch etwas frisches Gemüse. Und für
das Frühstück noch ein paar Eier. Die Auswahl war gut und die Qualität, wie
auch schon das Filet bewies, war hervorragend. Die Einkäufe würden sich in
dieser Woche wohl nur auf diesen Hofladen beschränken. Besseres bekam man
nirgends.
Anja legte
sich noch ein paar Stunden ins Bett bevor ihre Nachtschicht wieder begann. Sie
musste auch mal an sich denken, ihren zusätzlichen „Pflegefall“ Jean hatte sie
sich schließlich nicht selbst ausgesucht. Vor etwas über einer Woche fand sie
ihn, als sie mit dem Rad unterwegs war am Rande eines Maisfeldes, blutig und
verdreckt. Als er sich vehement weigerte, dass ein Arzt ihn untersuchte,
schleppte sie ihn in die Scheune. Er konnte von Glück reden, dass sie ihn
gefunden hatte. Was ihr sehr unangenehm und auch etwas unheimlich war, war dass
sie immer noch nicht wusste was eigentlich passiert war. Eine Schussverletzung
ist ja nicht gerade alltäglich und lässt extrem unangenehme Schlüsse zu.
Vielleicht war er in einem Überfall oder gar in einen Mord verwickelt, oder er
war sogar selbst ein Mörder. Und er war Franzose. Das ist zwar nicht besonders
außergewöhnlich, aber er war wahrscheinlich nicht aus dem Saarland. Vielleicht
war er im Urlaub hier, aber warum wollte er nicht ins Krankenhaus. Das war
überhaupt der Punkt, der sie am meisten verwirrte. Wenn sie ihn nicht gefunden
hätte, wäre er gestorben ohne Hilfe. Hätte er das in Kauf genommen oder hätte
er dann doch ein Krankenhaus aufgesucht? Fragen über Fragen plagten sie Tag und
Nacht und machten es ihr auch jetzt schwer noch ein bisschen Schlaf zu finden.
Das alles beschäftigte sie so sehr, dass es ihr manchmal unmöglich schien sich
auf ihren Beruf zu konzentrieren. Bisher hatte sie sich noch nicht getraut ihr
Problem ihrer besten Freundin zu erzählen. Obwohl sie sich schon seit der
ersten Klasse kannten, hielt sie irgendwas davon ab. Sie musste vorerst selber
damit zurecht kommen und entscheiden wie sie sich weiterhin verhalten würde. Im
Stich lassen konnte sie Jean auf jeden Fall nicht. Wenn es nur keine
Schusswunde wäre.
Da der Tag
schon fortgeschritten war und es sich nicht mehr lohnte golfen zu gehen,
beschlossen wir mit dem Fahrrad in den nächsten Ort zu fahren und ein Eis essen
zu gehen. Es war kein weiter Weg, deshalb brauchten wir auch keine
Fahrradklamotten. Wir schwangen uns auf die Räder und erklommen den ersten
Hügel. Die Radwege hier waren gut ausgebaut und es machte richtig Spaß. Als wir
ungefähr drei Kilometer gefahren waren kamen wir im Wald zu einer Stelle, wo
der Fahrradweg mit rot-weißem Band abgesperrt war. Bevor wir registrieren
konnten was da los war, hörten wir Hunde bellen und sahen gleich darauf
Polizisten durch den Wald laufen. Wir konnten uns nicht erklären was sie da suchten
und sie gaben uns auch keinerlei Erklärung dazu ab. Die einzige Möglichkeit da
vorbei zu kommen war die Räder zu schultern und ein Stück außenherum zu laufen.
Ein Polizist zeigte uns noch wo wir durch konnten. Der Vorfall kam uns seltsam
vor und wir rätselten noch eine Weile was die wohl dort suchten, nach einer
Weile jedoch verloren wir das Interesse daran. Im Ort war eine sehr schöne
Eisdiele und wir genossen ohne weitere Spekulationen über die Polizei unseren
Eisbecher. Den Rückweg nahmen wir über die Straße, was im Endeffekt auch kürzer
war und uns entgegen kam, da es schon leicht dämmerte. Mit dem obligatorischen
Katerkraulen beendete ich dann den Tag. Der
nächste Morgen bescherte uns einen etwas wolkenverhangenen Himmel und wir
machten uns auf den Weg zum Golfplatz in der Hoffnung nicht nass zu werden.
„Hallo Dagmar,
ja ich bin´s, Anja. Wie geht es dir? Ja, ich wollte mich schon lang mal melden,
aber du weißt ja wie das ist“. Endlich hatte Anja sich durchgerungen ihre
Freundin anzurufen. Als diese jedoch den Hörer abnahm überlegte sie sich, ob
sie einen Rückzieher machen sollte und den Anruf mit Nichtigkeiten zu füllen.
Sie konnte es sich selbst nicht erklären, warum sie so ein Problem damit hatte
sich ihr anzuvertrauen. Schließlich hatte sie ja nichts Schlechtes getan. Aber
irgendwie … die Schusswunde. Und sie hatte auch das Gefühl, dass sie Jean und
vielleicht auch sich selbst noch mehr in Schwierigkeiten bringen würde. Aber
sie hatte mit Jean ja eigentlich nicht zu tun, außer dass er ungebeten in ihr
Leben getreten beziehungsweise gefallen war. Trotzdem hatte sie Hemmungen. Doch
der Anfang war gemacht und sie würde jetzt über ihren Schatten springen. Fest
entschlossen ihr Problem mit ihrer besten Freundin zu teilen und sich dadurch
etwas zu entlasten fing sie an zu erzählen. Sie kam nicht weit, da ihre
Freundin eine Verabredung hatte und sie auf irgendwann vertröstete.
Enttäuschung wäre das falsche Wort. Sie war endlos frustriert, jetzt da sie
sich entschlossen hatte, ließ sich aber nichts anmerken. Sie wünschte Dagmar
einen schönen Tag und beendete das Gespräch. Als sie mit ihren Eltern zu Mittag
aß erzählten diese von dem Vorfall im Wald. Spaziergänger hatten sich an die
Polizei gewendet, da sie an mehreren Stellen am Radweg und an der Straße
blutige und eitrige Verbände gefunden hatten. Die Polizisten hattne sich mit
Hunden auf die Suche nach Auffälligkeiten gemacht. Anja blieb für einen Moment
das Herz stehen. Wie konnte das sein? Sie hatte doch immer alles mitgenommen
und tief im Mülleimer verstaut. Es war unmöglich, dass das ein Fuchs oder Hund
ausgegraben hatte und in der Gegend verschleppt hat. Aber wo sollten die
Verbände sonst herkommen? Sie war zutiefst irritiert und schaufelte mechanisch
das Mittagessen in sich hinein. Ihre Eltern merkten, wie immer nichts.
Der Tag
neigte sich ohne weitere aufregende Zwischenfälle dem Ende zu. Allerdings
mussten wir öfter an das Erlebnis mit der Polizei im Wald denken und
spekulierten ein bisschen weiter, was da passiert sein könnte. Wäre doch mal
interessant, wenn im Urlaub in der Nähe was passieren würde. Golfen ist ja
nicht grad eine Abenteuersportart und etwas Kriminelles würde dem Urlaub etwas
Würze verleihen. Es müsste ja nicht gleich jemand umgebracht worden sein, ein
Bankraub würde auch genügen. Fakt ist, dass etwas Ungewöhnliches passiert war,
vielleicht würden wir morgen unsere Vermieterin fragen. Die weiß bestimmt
etwas. In so ländlichen Gegenden wird ja viel geschwätzt. Da wir ja eh zu keinem
Ergebnis kamen, gingen wir ins Bett. Irgendwie waren wir müde, obwohl wir
eigentlich nicht viel unternommen hatten. Im Schlafzimmer war etwas schwül,
deshalb ließen wir das Fenster über Nacht gekippt. Ich wachte um sieben Uhr auf
und hatte einen seltsamen Traum. Wir standen am Abschlag 25, oben auf der
Kuppe. Man hat von dort oben einen herrlichen Überblick über das Fairway und
kann bis zum Clubhaus schauen. Dort oben befindet sich neben dem Abschlag ein
gesprengter Bunker. Man sieht noch die Armierungseisen aus dem Beton ragen.
Teilweise ist er mit Erde und Steinen zugeschüttet und bewachsen. Er stört das
Bild des Golfplatzes nicht, da er so eingewachsen ist, dass er kaum auffällt. In
meinem Traum standen wir also da oben und warteten noch bis die Golfer vor uns
abgeschlagen hatten. Ich vernahm ein leises Wimmern oder besser so etwas wie
ein Stöhnen, das aus der Richtung des Bunkers kam. Zuerst dachte ich mir nichts
dabei, da es dort oben meistens etwas windig ist und eben halt mal
Windgeräusche zu hören sind. Doch als die Spieler vor uns weg waren, wartete
ich eine Weile – es kam keiner hinter uns. Ich ging ein Stückchen Richtung
Bunker und sagte meinem Mann er solle mitkommen. Als wir nah genug dort waren
hörte man es deutlich. Es war ein Stöhnen von einem Mann, der anscheinend
starke Schmerzen hatte. Wir wurden neugierig. Ich nahm die Taschenlampe, die
ich auf meinem Handy hatte und wagte mich näher ran. Als ich in den Spalt
hineinleuchtete sah ich einen jungen Mann, der in einer Ecke lag mit blutverschmiertem
Stiefel in einer Uniform, die aussah als würde sie aus dem zweiten Weltkrieg
stammen. Ich glaubte es kaum. Was macht ein Soldat auf einem Golfplatz? Und
dann noch in einer Kriegsuniform? Er sah mich nicht gleich, war aber über den
Lichtstrahl erstaunt. Wahrscheinlich blendete ich ihm mitten ins Gesicht. Als
ich versuchte runter zu klettern, nahm er mich wahr. Man sah ihm die Angst
förmlich an. Ich sprach ihn an, jedoch schien er damit nichts anfangen zu
können. Er versuchte nur sich weiter in die Ecke zu kauern. Ich sagte ihm, dass
er nichts zu befürchten habe. Was ich als Antwort bekam war ein
schmerzverzerrtes Stammeln auf Französisch. Ich verstand nichts. Ich kam näher
und sah, dass sein Fuß unter seinem Stiefel scheinbar ziemlich verletzt war. Ich
rief meinen Mann, der jedoch Schwierigkeiten hatte durch den engen Spalt zu
kommen. Ich hatte ziemliche Angst, aber das Bedürfnis dem armen Mann zu helfen
war größer. Ich erbat von meinem Mann die Wasserflasche und gab dem Soldaten zu
trinken. Er leerte sie in einem Zug. Danach hörte ich ein schwaches ´danke´. Er
konnte also zumindest ein Wort Deutsch. Ich fragte ihn wo er herkomme und er
guckte mich verdutzt an. Anscheinend war ich ihm genauso suspekt wie er mir.
Ich hörte ihn auf Deutsch mit französischem Akzent fragen, warum ich hier in
seinem Bunker wäre, es sei ja schließlich Krieg. Ich glaubte mich im falschen
Film. Dennoch versuchte ich ihm klar zu machen, dass seine Wunde behandelt
gehört und er zog widerwillig seinen Stiefel aus. Die Wunde schien nicht
frisch, sondern schon ein paar Tage alt zu sein. Ich schrak sichtbar zurück und
wäre von dem bestialischen Gestank fast ohnmächtig geworden. Wie hat er diese
Schmerzen nur so lang aushalten können. Was sich mir optisch bot war in keiner
Weise besser. Der Socken war scheinbar mit dem Fuß verwachsen, so sah es aus.
Ich versuchte, trotz Ekel den Socken auszuziehen und erntete einen grauenhaften
Aufschrei des Schmerzes.